„Wenn wir nicht mehr miteinander reden können“ oder „Kleiner Mann was nun?“

Ein Satz geht mir nicht aus den Kopf: „… Ausbildung einer neuen Unterschicht als Folge eines neuen, globalisierten Kapitalismus“ (Trautl Brandstaller, DerStandard, 17.01.2011)

Erklärt ein verschärfter Überlebenskampf aufgrund sinkender Real-Einkommen in den unteren Einkommensschichten bei gleichzeitig erhöhtem Konsumdruck die steigende Unlust an Bildung? Ersetzen „Bauchgefühle“ wie Wut, Neid und Gier, früher als Todsünden bezeichnet, differenzierte Dialog-Fähigkeit sowie politisches Urteilsvermögen?

Umgekehrt gefragt: Würden bildungsferne Schichten die Nähe der Bildung suchen, hätten sie nur ein ausreichendes Einkommen? Das wage ich schlichtweg zu bezweifeln, denn Bildung gilt nicht mehr als cool. Man ist auch nicht mehr gegen Bildung, man ist für Anti-Bildung. Und ich behaupte, system-relevante Vertreter aus Politik und Medien, selbst Angehörige der Mittel- und Oberschicht, verstärken diesen Trend, denn sie profitieren von der wachsenden Unterschicht bzw. von einem Wertesystem, dass allzu vereinfachend mit einer sogenannten Unterschicht zur Deckung gebracht wird. Vorauseilend dient man sich diesem Niveau an, anstatt an den Mühen einer Trendwende mitzuwirken. Wozu auch?

„Casting-Shows sind Unterschicht -TV“, Harald Schmidt bringt auf den Punkt, was längst nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand in elitären Kreisen „gemauschelt“ wird.

„Unterschicht“, ein Begriff, der bis vor Kurzem nicht mehr verwendet wurde, wie andere Begriffe, die nicht den Regeln der Zeitgeist-abhängigen Political Correctness entsprachen, feiert ein fulminantes Comeback. Vorübergehend vom Haider’schen „kleinen Mann von der Strasse“ ersetzt, darf „Unterschicht“ nun wieder laut und deutlich ausgesprochen werden. Doch wem ist damit geholfen, ein Konstrukt aus der Mottenkiste zu holen, das unsere Gesellschaft in die Nähe des undurchlässigen hinduistischen Kastensystems rücken lässt?

Es gibt das real existierende Problem eines stetig wachsenden Teiles unserer Gesellschaft, der mit den Mitteln einer einigermaßen differenzierten Sprache nicht mehr erreichbar ist. In Deutschland wurde ein Drittel der Gesellschaft in diesem Sinne bereits „abgeschrieben“, hoffnungslose Fälle also. Was bedeutet das nun? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

Unlängst sah und hörte ich fassungslos das Interview mit einem Vertreter eines österreichischen Privatsenders, der mit einigem Stolz verkündete, dass Sendungen wie „Saturday Night Fever“ die einzigen profitablen Formate seien, und „er hätte die Idee schon in mehrere Länder verkauft“: Unterschichtler werden auf und gegen Unterschichtler gehetzt, moderne Gladiatoren in der Medien-Arena. Und nicht nur Unterschichtler ergötzen sich daran.

Als Anti-Fernseher verstand ich nur deshalb, wovon er überhaupt sprach, weil ich kurz davor in einem Feuilleton für Leser mit Bildungshintergrund über „Saturday Night Fever“ gelesen hatte. Dieser TV-Mann machte mir nicht den Eindruck, ein repräsentativer Vertreter der „Neuen Unterschicht“ zu sein. Aber worauf ist er nun so stolz? Etwa darauf, etwas toll verkauft zu haben, was unter seinem eigenen Niveau liegt oder etwa darauf, den ewiggestrigen, unter der Last der humanistischen Bildung stöhnenden Feuilleton-LeserInnen und somit auch mir eines ausgewischt zu habe? Eine Freak-Show? Ja, aber nur für die mit Bildungshintergrund und dem damit verbundenen Wertesystem. Für die Anderen, die mit ohne Bildungshintergrund und dem damit verbundenen Wertesystem, für die sind sie nicht Freaks sondern Stars von Heute und Helden von morgen.

Ja, es existieren Parallel-Gesellschaften und mehr noch, es existieren Parallel- Welten und -Universen. Die Fronten, die zunehmend quer durch unsere Gesellschaft wieder errichtet bzw. verstärkt werden, haben viel weniger mit Migrations- als mit Bildungshintergrund zu tun. Da finden sich nun ungebildete Unterschichtler aus „Daham“ neben ungebildeten Unterschichtlern aus dem Ausland im selben Eintopf wieder. Und was nicht sein darf kann nicht sein, daher ist der ausländische Analphabet dem Inländischen natürlich deutlich unterlegen, weil natürlich, einer schlichten Logik folgend, das Wertesystem des Bildungshintergrundes durch das Wertesystem Migrationshintergrund ersetzt wird. Keine Frage. Brauch ma nix reden, Oida.

Reality-TV ist Schnee von gestern. Man inszeniert die Realität selbst, indem Wahlen gewonnen werden und manipulierte Anti-BildungsbürgerInnen unser aller Leben bestimmen.

Es gibt einen wachsenden Anteil von MitbürgerInnen, die nicht nur nicht willens sind, an einem demokratischen Diskurs teilzunehmen, sondern die schlicht und einfach nicht dazu in der Lage sind, weil ihnen sämtliche intellektuellen Voraussetzungen fehlen. Und das eigentlich Dramatische daran ist, sie wissen es nicht, und sie würden es auch nicht glauben, würde sich jemand die Mühe machen würde, es ihnen zu erklären. Sie würden es deshalb nicht glauben, weil ihre Erfahrungswelt die für sie Einzige und somit einzig Relevante ist. Und es gibt nicht nur Niemanden, der dagegen etwas zu unternehmen bereit und/ oder in der Lage ist, nein, es wird die Kommunikation eingestellt bzw. auf dem Niveau von Idioten weitergeführt. Die Einzigen, die in diesen Parallelwelten unermüdlich tätig sind, das sind die Vertreter der simplifizierten Botschaften und Lösungs – (Sonder-) Angebote, die Ritter der Demagogie, die Propheten der „Anti-Intellektualität“, die Händler der Wut, der Gier, des Neides.
Und es lassen sich gute Geschäfte damit machen. Es lassen sich bei geringerem Einsatz weit höhere Profite erzielen als in und mit gebildeteren, entwickelteren Gesellschaftsschichten. Das entspricht der Vorgangsweise der globalisierten Wirtschaft, die auch vor allem in weniger entwickelten Gesellschaften boomt.
Mit Grausen wenden wir uns ab von den schamlosen Demagogien und den medial inszenierten samstägigen Kollektiv-Besäufnissen und sorgen dennoch verlässlich für die erforderlichen Quoten. Obengenannter TV-Macher kann beruhigt weiterhin stolz auf seine Heldentaten sein. Diskurs, Diskussion, Auseinandersetzung… Nein Danke!

Aber was ist oder wird sein, wenn wir nicht mehr miteinander reden können, auch wenn wir es wollen? Was ist oder wird sein, wenn nicht mehr nur der Wille zum „miteinander reden“ fehlt sondern auch noch dazu die geeignete Sprache, wenn uns die Worte fehlen..? Dürfen wir dann im Wittgenstein’schen Sinne nobel schweigen? Wohin die Sprachlosigkeit führt, dafür gibt es ausreichend Belege nicht nur im Italo-Western.

Klaus Karlbauer – Multimediakünstler, lebt in Wien und auf einer Insel im Mittelmer

Über Klaus Karlbauer

Composer, Director, Producer, Performing Artist
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